Die «Freibank» setzt auf eine ganzheitliche Verwertung

Interview mit Florian Jenzer und Adrian Wittwer vom Restaurant Freibank

Es fällt auf, das Restaurant Freibank – Speis & Trank. Inmitten von Bürokomplexen zwischen Bahngleisen und Autobahn in der Berner WankdorfCity, steht das über 100-jährige Verwaltungs- und Dienstgebäude des ehemaligen Schlachthofs. Im denkmalgeschützten Waaghaus haben sich die beiden Gastronomen Adrian Wittwer und Florian Jenzer zusammen mit ihren Geschäftspartnern Jürg Wirz und Martin Hofer ihren Traum verwirklicht und führen seit August 2017 gemeinsam das Restaurant Freibank.

Wir haben mit den beiden gesprochen und wollten wissen, welche Geschichte sich hinter diesem Ort verbirgt, was ihr Konzept ist, welche Erfahrungen sie mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Gastronomie gemacht haben und warum sie beim Projekt lunchidee mitmachen.

Wenn man das Restaurant betritt, drängt sich sofort die Frage nach der Geschichte eurer Räumlichkeiten auf!

Adrian: Auf dem Areal der WankdorfCity befand sich früher der Stadtberner Schlachthof. Unsere Liegenschaft beheimatete unterschiedliche Figuren und Rollen rund um dieses Schlachtareal: Da war zum einen das Waaghaus mit dem Waagmeister. Hier wurden vor Betreten des Schlachtareals die angelieferten Tiere gewogen. Der Portier wiederum war für die Sicherheit verantwortlich und schloss am Abend das Zugangstor.

In der integrierten «Freibank» wurde Fleisch aus Notschlachtungen feilgeboten. Es handelte sich hierbei um Fleisch von z.B. verunglückten Tieren, die eigentlich nicht für die Schlachtung bestimmt waren. Das als «bedingt tauglich» eingestufte Fleisch wurde jedoch besonders gründlich überprüft. In der Freibank wurde also qualitativ einwandfreies Fleisch zu niedrigen Preisen verkauft.

Mit eurem Konzept lebt ihr ein Stück dieser Geschichte weiter?

Adrian: So ist es. Für uns war klar, dass wir mit unserem Konzept auch dieser Geschichte Rechnung tragen möchten. Daher legen wir den Fokus auf eine ganzheitliche Fleischverwertung. Wir bieten Schmorstücke, Würste und Siedfleisch. Also Fleischstücke, die bei den Gästen im Vergleich zu sogenannten Edelstücken wie Filet und Steak weniger beliebt sind. Wir stellen fest, dass diese Gerichte – richtig zubereitet – beim Gast zunehmend an Beliebtheit gewinnen. Nicht zuletzt, weil er sie aufgrund der langen Garzeit oder fehlender Kenntnisse nicht selbst kochen würde.

Florian: Gleichzeitig distanzieren wir uns aber von einem Konzept, das komplett auf Special Cuts ausgerichtet ist, wie es in letzter Zeit einige Restaurants umsetzen. Bei uns steht die ganzheitliche Verwertung im Vordergrund. Special Cuts sind heute keine Problemstücke mehr, sie werden dank des Nose-to-Tail-Trends genügend nachgefragt. Unser Fokus liegt auf Stücken, die immer noch relativ unbeliebt sind, wie Schmorstücke, Siedfleisch oder auch Schweinebauch.

Kürzlich bezogen wir ganze Rinderhälften von einem Hof aus der Gegend. Unser Angebot entsteht in enger Zusammenarbeit mit dem Lieferanten: Was brauchen wir? Was hat er nach unserem Geschmack? So zu bestellen ist zwar aufwändiger, man ist aber im direkten Austausch mit den Produzenten und Lieferanten und weiss, was auf den Teller kommt. Mit unserem Ansatz können wir einen wertvollen Beitrag zu einer ganzheitlicheren Verwertung der Schlachttiere leisten. Damit zollen wir auch dem Tier unseren Respekt. Uns ist es zudem wichtig, dass wir nur Schweizer Fleisch und dieses möglichst aus der Region beziehen.

Adrian: Bei unserem Mittagsangebot pflegen wir die Philosophie «s het solang’s het». So können wir vermeiden, dass zu viele Portionen des Tagesangebots übrig bleiben – und leisten damit einen zusätzlichen Beitrag zur Reduktion von Food Waste.

Welche Erfahrungen habt ihr vor eurer Selbstständigkeit mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Gastronomie gemacht und wo gibt es aus eurer Sicht Handlungsbedarf?

Adrian: Insbesondere bei Einsätzen von Grosscaterern wurde mir die Problematik von Food Waste bewusst. Man wusste beispielsweise nach einer Generalversammlung nicht, wie viele Gäste ans Buffet kommen würden – 200 oder 700? Das Buffet musste aber trotzdem komplett bestückt werden. Für den Unternehmer waren die Menüs verkauft und die Kosten gedeckt. Er hatte kein Interesse, die Lebensmittel noch weiter zu verwenden. Mir wurde klar: Alles was übrig bleibt, landet im Abfall. Im Falle einer Selbstständigkeit wollte ich selbst etwas beitragen und solche Verschwendungen vermeiden. Auch wenn der Impact in unserem Freibank-Universum nur klein ist, bin ich überzeugt, dass jeder noch so kleine Beitrag etwas bewirken kann.

Florian: Meine Erfahrung ist: Je grösser der Betrieb, desto weniger sensibilisiert sind die Angestellten auf diese Thematik. Zudem spielt das Betriebskonzept eine wesentliche Rolle, wie nachhaltig sich ein Unternehmen positioniert. Mit wachsender Berufserfahrung habe ich an Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen wie Saisonalität, Regionalität oder Food Waste gewonnen. Wie für Adrian, machte auch für mich im eigenen Betrieb nur ein nachhaltiges Konzept Sinn.

Seit Oktober 2018 macht ihr als Pilotrestaurant beim Projekt lunchidee mit und setzt euch damit für eine nachhaltige und gesunde Esskultur über Mittag ein. Was reizte euch, beim Projekt mitzumachen und was sind bisher die grössten Erfolge und Herausforderungen?

Adrian: Aufgrund unserer Lage inmitten von Bürogebäuden verpflegen wir jeden Tag von Montag bis Freitag viele Mittagsgäste. Häufig ist das ihre Hauptmahlzeit. Wir haben damit auch eine Verantwortung, unsere Gäste gesund zu verpflegen. Neben dem Konzept der ganzheitlichen Fleischverwertung ist es uns daher ein wichtiges Anliegen, täglich ein attraktives, fleischloses Mittagsmenü anzubieten. So manch ein Fleischesser wählt über Mittag das fleischlose Menü, einfach weil es vielseitig, ausgewogen und saisonal ist. Eine nachhaltige und gesunde Esskultur war bei uns daher schon vor dem Projekt lunchidee ein zentrales Anliegen. Dank lunchidee erhalten wir nun Ideen und kommunikative Unterstützung, um unsere Bemühung bis zum Gast zu transportieren.

Florian: Für Schweizer Hülsenfrüchte haben wir einen neuen Lieferanten aus der Region gefunden. Und natürlich erhalten wir viele spannende neue Rezepte und Anregungen!

Die Herausforderung ist, genügend Zeit zu haben, um sich mit dem Thema zu befassen. Wir müssen uns einlesen, die Küchencrew muss neue Gerichte kreieren, der Service muss informiert sein. Es braucht regen Austausch untereinander! Dazu kommt die Herausforderung, im hektischen Mittagsgeschäft die Botschaft von lunchidee bis zum Gast zu transportieren.

Und wie reagieren die Gäste auf lunchidee?

Florian: Immer wieder mal kriegen wir mit, dass an den Tischen Gespräche zum Monatsthema von lunchideestattfinden. Der Austausch findet aber auch zwischen den begeisterten Gästen und unserem Team statt. Gerne erzählen uns die Leute, wie sie sich bereits engagieren und was ihre persönlichen Bemühungen sind.

Adrian: Einige der Gäste bringen bereits ein gutes Basiswissen im Bereich nachhaltige und gesunde Ernährung mit. Sie erkennen und schätzen unsere Bemühungen. Wir stellen fest, dass lunchidee bei vielen nicht beim ersten Mal, sondern erst über eine gewisse Zeit wirkt. So fragen die Leute nach ein paar «Begegnungen» mit dem Stempel in der Speisekarte: «Was ist das genau, diese lunchidee?».

Wir danken Florian und Adrian ganz herzlich für das spannende Gespräch und den Einblick in ihr Freibank-Universum!