Freddy Christandl

Über Bergkartoffeln und Genuss

Interview mit Freddy Christandl

Freddy Christandl war 30 Jahre lang als Spitzenkoch tätig, ist Kartoffel-Enthusiast und ausgebildeter Genusstrainer. Mit grossem Engagement hat er zusammen mit Biobauer Marcel Heinrich das Projekt Bergkartoffeln aus dem Albulatal ins Leben gerufen. Freddy Christandl ist Mitglied im Advisory Board von lunchidee. Passend zum Projekt haben wir mit ihm über Kartoffeln und bewussten Genuss gesprochen.

Wie bist du auf die Idee gekommen, alte Kartoffelsorten im Albulatal anzubauen?

Die Grundidee hatte Marcel Heinrich, als er 2001 den Biohof von seinem Vater Ueli übernommen hat. Obwohl ganz normale Handelssorten im Berggebiet aufgrund des intensiven UV Lichtes und der steinigen, sandigen Schwemmböden aussergewöhnlich gut schmecken, hat er schnell gemerkt, dass der Kartoffelanbau im Berggebiet wegen der viel geringeren Erträge und der aufwändigen Handarbeit nur in der Nische funktioniert. So organisierte er 2003 ein paar Hände voll ProSpecieRaraSaatkartoffeln und begann zu experimentieren. Das Projekt war erfolgreich, nur fehlte bald ein Partner um die Bergkartoffeln, deren Geschichte und die kulinarischen Vorzüge aus dem Albulatal über die Kantonsgrenzen hinauszutragen. Ich wurde sozusagen vom Kunden zum Partner, die freundschaftliche Partnerschaft besteht nun bereits zehn Jahre. Diese kleine aber doch so grosse Erdknolle hat schlussendlich auch mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Die Geschichte der Bergkartoffeln ist noch lange nicht fertig geschrieben, es warten viele neue Aufgaben, die weit über Anbau und Vermarktung hinausgehen.

Apache, King Edward, Baselbieter Müsli... – eine unglaubliche Sortenvielfalt! Wie viele Bergkartoffel-Sorten gibt es und was fasziniert dich so an dieser Kartoffelvielfalt?

Letzten Herbst haben wir 45 verschiedene Sorten geerntet. Ausprobiert haben wir schon weit über 100. Manche von ihnen sind dann entweder aus agronomischer, sensorischer oder kochtechnischer Sicht wieder ausgeschieden. Die Kochtechnik wird ein Schwerpunkt in den nächsten Jahren sein, dort liegt viel Potential. Durch die viel höhere Anzahl von Zellwänden, verändern sich die Kocheigenschaften massiv. Die Kochzeit verlängert sich z.B. je nach Sorte bis um das Doppelte, für Stock steigt der Flüssigkeitsbedarf massiv an, für Kartoffelteige benötigt man dafür massiv weniger Mehl. Immer wieder höre ich von Köchen, dass sie ihre Rezepte komplett verändern müssen. Das hat mich motiviert, auf bergkartoffeln.ch Rezepte und Wissenswertes zu den Kocheigenschaften zu veröffentlichen. Und wir haben zusammen mit unseren Köchen die Kartoffelakademie ins Leben gerufen, mit dem übergeordneten Ziel, Produkte wie unsere Bergkartoffeln in die Zukunft zu tragen.

Wo kann ich als Gastronom oder als Privatperson die Bergkartoffeln beziehen?

Auf bergkartoffeln.ch finden Privatpersonen eine Liste von Fachhändlern, und bis Ende Winter kann man über unser Bestellformular die Albula Bergkartoffeln mit Kartoffeltaxi oder der Kartoffelpost bequem nach Hause bestellen. Köche melden sich inzwischen direkt bei uns. Bergkartoffeln haben aussergewöhnliche Kocheigenschaften und die grosse Vielfalt an Sorten ist herausfordernd. Uns ist es wichtig, dass jeder Koch «seine» Kartoffel findet, denn wir streben Qualität vom Acker bis auf den Teller an.

Genuss wird sehr häufig mit Essen und Trinken in Verbindung gebracht. Was verstehst du als Genusstrainer unter «echtem Genuss»?

Schmunzelt... Ja, der Grad zwischen Konsum und Genuss ist wahrlich ein sehr schmaler, da spreche ich aus eigener Erfahrung. Ich habe für mich eine wunderbare Übung entdeckt, um sozusagen meine aktuelle Genussfähigkeit zu überprüfen: Ich setze mich zum z’Mittag ganz alleine an den Esstisch, natürlich ohne irgendeine Geräuschkulisse und andere (digitale) Ablenkungen. Am Anfang war diese Übung für mich sehr fordernd, ich hatte manchmal gar richtige Entzugserscheinungen... doch wenn man sich darauf einlässt, ist es sehr lehrreich. Heute kann ich mit dieser Übung sehr schnell feststellen, wo ich zurzeit stehe, sozusagen meine Genusstagesform abrufen und mit meinen gesammelten Erfahrungen nachjustieren.

Wie können wir im Alltag bewusster geniessen?

Das wichtigste Instrument, Genuss bewusst zu erleben, ist «Achtsamkeit». Dazu eignet sich oben genannte Übung sehr gut. Vor 2,5 Jahren habe ich zudem Yoga für mich entdeckt was ich übrigens sehr empfehlen kann. Doch es gibt auch für den Genuss kein Allgemeinrezept, jeder von uns hat individuelle Bedürfnisse und Voraussetzungen. Ein erster und wichtiger Schritt ist, sich einmal bewusst und ehrlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Aus eigener Erfahrung weiss ich, absolute Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist nicht immer angenehm, doch sie bringt dich immer weiter. Übrigens: Ganz besonders achtsam bin ich immer dann, wenn ich eine unserer Bergkartoffeln auf dem Teller habe. Dann bin ich definitiv im hier und jetzt... äh, ich meine natürlich, bei der Bergkartoffel!

Wir danken dir ganz herzlich für dieses spannende Interview und hoffen, auch mal eine Bergkartoffel auf einem lunchidee-Teller zu finden!